14.07.2025 Wie spannend der Blick in Familiengeschichten sein kann, zeigte sich mit dem Besuch der Familie Boyd an der Heinrich-Hertz-Schule. Esther Boyd und ihr Sohn David waren im Rahmen des Besuchsprogramms der Hamburger Kulturbehörde Gäste unserer Stadt und unserer Schule.
Esther und David Boyd baten darum, unsere Schule zu besuchen, weil Esthers Mutter Margot Valk Schülerin der Lichtwarkschule gewesen war und ihre Schulreise 1925 nach England dazu führte, dass die Leben ihrer Eltern und ihres Bruders gerettet wurden.
An der Lichtwarkschule, jener Reformschule, an deren Prinzipien wir vielfach anknüpfen und in deren Räume wir an der HHS heute noch arbeiten, gehörten solche Reisen zum pädagogischen Programm.
David Boyd wies darauf hin, dass Klassenreisen ins Ausland entscheidende Weichen für das Leben stellen und – wie hier zu sehen – diese sogar lebensrettend sein können.
So ergab sich 1925 die erste Englandreise einer deutschen Schulklasse nach dem Ersten Weltkrieg auf Vermittlung der Quäkerbewegung. Die Quäker formierten sich zu dieser Zeit vor allem in Großbritannien und waren in ihrem speziellen christlichen Verständnis an Völkerverständigung und einem friedlichen Miteinander orientiert, wofür sie sich umfangreich einsetzten.
Über diese sieben Jahre zuvor geknüpften Kontakte bekam die junge Jüdin Margot Valk im Sommer 1933 eine Stelle bei der englischen „Forest School Bewegung“. Damit war ihre Ausreise aus dem Deutschen Reich möglich, das nun unter Nationalsozialistischer Herrschaft stand.
Margot hatte, als ehemalige Reformschülerin der Lichtwarkschule, damals eine Ausbildung zur Lehrerin begonnen und traf in England nun auf diese Reformschulbewegung, die mit dem Woodcraft Folk und den Quäkern, ebenfalls Reformbewegungen, in Verbindung stand.
Im Bewusstsein, dass die Situation im Deutschen Reich für jüdische Menschen zunehmend schwieriger wurde und mit der Erfahrung, dass Margots Bruder in Deutschland unschuldig inhaftiert war, gelang es Margot, im Anschluss an ihre zunächst zeitlich begrenzte Saisontätigkeit eine Anstellung in einer englischen Familie zu finden. Für Margot bedeutete dies, der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu entkommen. Sie heiratete 1934 und bekam u.a. ihre Tochter Esther, die zusammen mit ihrem Sohn unser Gast war. Ende der 1930er Jahre gelang es Margot mit Hilfe ihres Mannes, ihren Bruder und ihre Eltern Joseph und Bernhardine Valk zu sich nach England zu holen. Andere Teile der Familie Valk, die im Deutschen Reich und Hamburg verbleiben mussten, wurden im Holocaust ermordet. So erinnert ein Stolperstein in der Eppendorfer Landstraße 46 an Margots Tante Bertha Engers (geb. Valk). In der Hansastraße 36 und auf dem Martin-Luther-King-Platz 3 liegen Stolpersteine für ihre Tante Frieda Karseboom (geb. Valk) bzw. ihre Kusine Ellen Berger. Über deren Schicksale ist nachzulesen unter www.stolpersteine-hamburg.de.
Margot selbst war nicht in der Lage, deutschen Boden je wieder zu betreten. Sie blieb traumatisiert durch den Tod ihrer Verwandten und vieler Freundinnen und Freunde, durch den Verlust ihres Zuhauses und ihrer Heimat. Sie konnte und wollte die Orte, die diese Erinnerungen wieder wachriefen, nicht wiedersehen.
Umso dankbarer sind wir dafür, dass Esther Boyd die Reise nach Hamburg und an die HHS auf sich genommen hat. Im Gespräch mit Schülern haben sich viele neue Perspektiven in die Vergangenheit eröffnet. So zeigte sich, wie unterschiedlich beispielsweise mit Familiengeschichte in deutschen und europäischen Familien umgegangen wird. Während das Erkunden der Lebenslinien von Vorfahren für Familiengeschichten außerhalb des Deutschen Reiches oftmals ein Prozess des Erinnerns ist, der mit viel Energie und Interesse vorangetrieben wird, zeigt sich in deutschen Familien vielfach ein geringes Engagement, genaueres herausfinden zu wollen. Wenn wir gegenwärtig und in Zukunft auch kaum noch die Möglichkeit haben werden, mit Zeitzeugen ins Gespräch zu kommen, bleiben Fragen zur Familiengeschichte immer aktuell. Ihre Erkundung bietet ein Feld der Verständigung in und zwischen Familien jeglicher Kultur, Religion, Herkunft und von Generationen. Dafür ist es notwendig, sich auf den Weg zu machen. Einerseits in die eigene Geschichte, aber eben auch an die Orte, die hierfür bedeutsam waren. Was in der Englandreise von 1925 seinen Ausgang nahm, hatte mit dem Besuch der Familie Boyd an der HHS nach 100 Jahren einen wunderbaren Austausch zwischen Generationen zur Folge.
Martina Mähr
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